Donnerstag, 28. Dezember 2006
The Girl Next Door (Jack Ketchum; dt. Titel: Evil)
David lebt in einer scheinbar perfekten Vorstadtidylle. Die meiste Zeit über spielt er mit den vielen Nachbarskindern, ganz besonders den Chandlers, dessen Mutter Ruth alleine für sie sorgen muss, da ihr Vater - "ein irischer Saufbold" - schon lange abgehauen ist. Eines Tages nimmt Ruth zwei neue Kinder in ihr Haus auf: Meg & Susan Loughlin. Ihre Eltern kamen bei einem schweren Autounfall ums Leben und Susan kann nur noch mit Hilfe spezieller Stützen laufen. Meg - 2 oder 3 Jahre älter als David - geht es da etwas besser, doch auch sie hat einige unschöne Narben und, - natürlich, Erinnerungen davongetragen. David mag sie, er findet sie interessant und irgendwie sehr anziehend und fast freunden sich die Beiden an. Doch im Haus der Chandlers geht nicht alles mit rechten Dingen zu. Ruth wirkt zunehmend abwesend und ist von Zeit zu Zeit extrem häßlich zu Meg und dann eskaliert die Lage plötzlich...

Der Autor, Jack Ketchum - was ein Pseudonym für Dallas Mayr ist, beweist in Evil immer wieder von Neuem, dass das Grausamste auf der Welt immer noch die Abgründe menschlicher Seelen sind. Die meisten Charaktere sind Kinder, manche mit schlechter, manche mit guter Erziehung, doch alle hilflos ihrer eigenen Unmündigkeit gegenüber. Hilflos gegenüber der Unbewusstheit von Falsch & Richtig. Kinder, die das Wort eines Erwachsenen natürlich für bare Münze nehmen, Kinder, die von Erwachsenen jenseits von Verantwortung und Rationalität in den Abgrund mitgerissen werden. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Auch der gutmütige David wird von der Gewaltspirale mitgerissen und auf den Sturz in den Abgrund wartet nur eins: Der schmerzhafte Aufprall. Was sich schon in den ersten 160 Seiten anbahnt, gipfelt dann in diesem Aufprall, der Menschenverachtender nicht sein könnte.

Ketchum zeigt auf, was allen Menschen von Kindesbeinen an beigebracht werden sollte. Weder Lesen & Schreiben, noch das Zinssystem, noch gesunde Ernährung, noch ein intelligentes Hobby, sondern ein einwandfreies Verständniss von Richtig & Falsch, von Menschenwürde, Menschsein und Nächstenliebe. Dass das Ganze noch auf einer wahren Begebenheit von '58 basiert, lässt dem Werk noch mehr Bedeutung zukommen, trotz seines Alters von 16 Jahren.

Ich komme nicht umhin, zu gestehen, dass ich Evil nur eins, zwei Mal beiseite gelegt habe - mehr oder weniger gezwungen - und das Buch an einem Tag durchlesen musste. Es ist kurz, aber großartig geschrieben - jedoch nie kompliziert, sondern einfach & direkt. Der Leser wird von Anfang an in seinen Bann gezogen und das Ende ist heftig. Ich mag das Buch. Ich mag das Ende. Es ist böse, doch nicht weil es böse sein will, sondern weil die Menschen heutiger Zeiten sehr böse sein können. Empfehlenswert! (# ISBN-10: 3453675029; # ISBN-13: 978-3453675025)

PS: Nächstes Jahr kommt die Verfilmung von Gregory Wilson.

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Mittwoch, 18. Oktober 2006
Der Alptraum

Ich hatte einen Alptraum. Der Wecker kreischt auf. Unbehagen bekommt plötzlich meine Glieder, Frustration explodiert in meinem Kopf. Ich stehe auf, will schreien. Angezogen und mit Sachen auf dem Rücken verlass ich das Haus. Im Bus sind viele Personen, die meisten kenne ich nicht und Andere drehen sich weg. Der Fahrer bleibt gleichgültig, die Fahrt ist ungemütlich. Den Tag über erzählen Männer und Frauen, dabei auf großen Podesten stehend, von absurden Dingen, alle genauso gleichgültig, alle genauso krank. Unten sitz ich und die anderen auch. Da sind viele Freunde, doch es sind nicht meine, denn keiner ist sein Eigen. Auch das ist ansteckend. Der Virus dringt zu meinen Ohren und Augen hindurch, vergiftet Blut und Geist, will auch mein Herz krank machen. Nach vielen Stunden in den finsteren Fluren, bringen mich meine Füße zurück ins Haus. Ich trotze der Krankheit, doch das Gift pocht weiter in meinen Adern, aber heute bleibt mein Herz noch mein. Erschöpft leg ich mich aufs Bett. Dann wach ich auf.

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Dienstag, 14. Februar 2006
Crash (James G. Ballard)
Crash von Ballard erschien 1973 und ist auch heute noch eines der perversesten und provozierensten Bücher überhaupt. Zumindest soweit ich weiß. Crash gehört zu Ballards sogenannten 'dystopischen Trilogie', zu der noch die Werke Die Betoninsel und Der Block zählen. Alle 3 Werke sind in einem Sammelband vom area Verlag erschienen (ISBN 3-89996-257-5).
James Ballard stellt in Crash einen gelangweilten Ehemann und Werbefilmproduzent dar, der sich mit kleinen Seitensprüngen sozusagen über Wasser hält. Seine Frau Catherine tut es ihm gleich. Abends erzählen sie sich von ihren Affären und werten somit ihr eigenes Sexleben auf. Trotz allem scheint das Ehepaar im monotonen Trist zu ersticken bis eines Tages James in einen Autounfall gerät und mit Helen Remington zusammencrasht. Dabei stirbt Remingtons Ehemann. Der Crash wird James für den Rest seines Lebens verfolgen. Plötzlich entwickelt er eine seltsame sexuelle Beziehung zu den dahinkriechenden Automobilen auf den Highways , die er von seinem Balkon aus beobachten kann. Auch für Helen Remington scheint er sich zu interessieren und als er den von Autounfällen geradezu manisch besessenen Vaughan kennenlernt, scheint Ballard völlig in seiner neu entdeckten Obsession aufzugehen: Dem Autounfall. Vaughan führt ihn in eine Welt ein, voller sich ineinander pressendes Metall und verstümmelter Unfallopfer. Auch seine Frau Catherine scheint von Vaughan angetan, genauso wie Remington und eine Reihe anderer skurriler Gestalten.
Mit seinen bis ins kleinste Detail beschriebenen Unfall- und Sexszenen ist Crash absolut nicht für Jedermann. Ohne Zweifel, das Buch ist pervers, doch letztendlich nur eine Parabel für heutige Zustände, die Bedrohung durch Industrialisierung & Maschine und die ständig anhaltende Degenerierung der heutigen Gesellschaft. Crash ist zeitgemäßer den je. Crash wirkt apokalyptisch und gleichzeitig erschreckend real. Crash ertränkt den Leser geradezu in Blut & Spermien. Crash ist auf seine Weise genial! Hier noch was zur Verfilmung des Stoffs.

Catherine übergab sich auf meinen Sitz. Diese Lache aus Erbrochenem, in der Blutstropfen wie flüssige Rubine schwammen und die so viskos und glitschig wie sämtliche Körpersekrete Catherines war, symbolisiert in meinen Augen heute noch die Quintessenz des erotischen Deliriums des Verkehrsunfalls, und ich empfand sie wesentlich aufreizender als ihre rektalen und vaginalen Ausscheidungen, so rein und klar wie die Exkremente einer Feenkönigin oder die winzigen Flüssigkeitsperlchen, die sich an den Rändern ihrer Kontaktlinsen bildeten. In dieser magischen Lache, die sich wie ein seltener Flüssigkeitsausstoß aus einem weit entfernten oder geheimnisvollen Schrein aus ihrem Mund ergosssen hatte, konnte ich mein Spiegelbild wie in einem Spiegel aus Blut, Samen und Erbochenem sehen, aus einem Mund herausdestilliert, der noch vor wenigen Minuten gleichmäßig über den Schaft meines Penis geglitten war.

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Sonntag, 27. November 2005
Der Verfolger (Julio Cortázar)
In der Erzählung "Der Verfolger" aus dem Jahre 1959, behandelt Cortázar die Beziehung zwischen Saxophonist Johnny Carter und dessen Biographen Bruno. Der Name Johnny Carter ist allerdings nur ein Pseudonym für den Jazzmusiker Charlie Parker (1920 - 1955), dessen letzten Jahre sozusagen als Vorlage für dieses Buch dienten. Es lassen sich viele Paralellen zu Parkers wirkliche Leben finden, trotzdem ist "Der Verfolger" mehr oder weniger Fiktion und sollte nicht mit einem biografischem Werk verwechselt werden.

Johnny Carter ist ein genialer Musiker. Er durchbricht die Grenzen des traditionellen Jazzs, improvisiert wie der Teufel und hasst es sich an Routinen und Vorgaben zu halten. Doch trotzdem geht es bergab mit ihm. Seine Marihuana Sucht treibt ihn anscheinend mehr und mehr in den Wahnsinn. Er verliert sein Zeitgefühl, fackelt Hotelzimmer ab, zerstört desöfteren - anscheinend grundlos - seine Instrumente und halluziniert. Selbst sein Freund Bruno, der dessen sehr lukrative Biografie verfasst hat, versteht ihn nicht mehr. Allerdings ist er der Einzige, der ernsthaft zuhört, wenn Carter wiedereinmal im Fieberwahn - anscheinend sinnlos - daherschwafelt und von "Feldern voller Urnen" oder "15 Minuten die innerhalb 1 1/2 Minuten geschehen" erzählt. Verzweifelt versucht Bruno über seinen Freund einen Zugang zu dessen außergewöhnlicher Musik zu finden, was er mehr oder weniger als seine Pflicht ansieht, da er ja Carters Kritiker & Biograf ist. Dabei merkt Bruno nicht, dass er Carters einziger wirklicher Vertrauter ist und was er ihm wirklich mitteilen will. Carter offenbart Bruno nämlich mit jedem dieser Gespräche immer wieder sein eigenes Ich - seine Seele - mit all ihrer zerstörerischen Kraft und dem Wahnsinn der tagtäglich Carters Kopf weiter zu durchdringen scheint. Allerdings gibt Bruno den Inhalten dieser Gespräche kaum Gewicht und verliert kein Wort über Carters fast schon schizophrenen Irrsinn in seiner Biografie, obwohl genau das es ist was Carter sich eigentlich wünscht. Verzweifelt und unverstanden spielt Carter weiterhin Saxophon, immer wieder auf der Suche nach der künstlerischen Extase in der Musik, die ihn sein Alltagsleben vergessen lässt, doch ihn jedesmal auch näher an den Wahnsinn zu bringen scheint. Mit gemischten Gefühlen beobachtet Bruno den Untergang seines Freundes. Hin- und Hergerissen weiss Bruno nicht, ob er Carter retten oder ihn weiterspielen lassen soll. Einerseits will er seinen Freund nicht verlieren, andererseits würde dies bedeuten, dass Carter aufhören müsste zu spielen und dazu kann sich Bruno als Kritiker, der Carters Musik verehrt, auch nicht überwinden. Ein Teufelskreis.

Julio Cortázar wurde 1914 in Brüssel geboren und starb 1984 in Paris. Er war ein argentinischer Schriftsteller und vertrat in seinem Heimatland den Surrealismus. Er ist auch für seine politischen Aktivitäten bekannt, so unterstützte er z.B. die kubanische Revolution. Cortázar ist u.A. für seinen eindrucksvollen Gebrauch von Sprachtechniken in seinen Werken bekannt. Dies bemerkt man auch in "Der Verfolger", wo Cortázar z.B. mitten im Satz vom Imperfekt ins Präsens wechselt oder komplette Passagen plötzlich im Futur schreibt. Das ist nicht falsch, sondern liest sich ziemlich lebendig und macht Spaß. Allerdings macht nicht nur die Form von Cortázars Erzählung Spaß, sondern auch dessen Inhalt. "Der Verfolger" überzeugt durch seine psychisch ausgefeilten Charaktere und dessen Dialoge, aber besonders durch Carters Monologe, die von einem Wahnsinnigen selbst geschrieben sein könnten. Gleichzeitig befindet sich aber auch ein Fünkchen Wahrheit, ein Stück Vernunft in Carters Monologen und genau in diesen Momenten, in denen der Leser für einen kurzen Moment - ähnlich wie Bruno in der Erzählung - zu begreifen scheint worum es Carter geht, liegt die Faszination und auch das Unheimliche des Buches. Unheimlich, weil der Verrückte vielleicht doch nicht verrückt ist. Ein weiterer Reiz des Buches liegt in der Beziehung zwischen Carter und Bruno, die grundverschiedene Persönlichkeiten besitzen. Während Carter ein Freigeist ist, der sich auslebt, Drogen konsumiert, seine Frau & Kinder in Amerika sitzen lässt und in Frankreich fremd geht, ist Bruno eher prüde, sorgt sich um seine kranke Frau und verachtet die Zügellosigkeit.

Da das Buch mit knapp 100 Seiten relativ kurz ist, ist ein 'Reinschauen' durchaus zu empfehlen. Es liest sich gut und die Geschichte bleibt durchweg interessant und schreitet schnell voran, so dass Langeweile kaum aufkommen kann. Einziger Kritikpunkt: Charlie Parker war in Wirklichkeit abhängig von Heroin und nicht von Marihuana. Diese Änderung scheint mir ein wenig lächerlich, da man so die starken Folgen der Drogen an der Person Parker aka Johnny Carter in der Erzählung eher nicht nachvollziehen kann. Das ist allerdings auch eher nebensächlich.

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